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Channel: Freie Volksbühne Berlin – Blog » Henrik Adler
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Türen auf! Oper für Kinder

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„Ali Baba und die 40 Räuber“ in der Komischen Oper und „Der Gestiefelte Kater“ in der Staatsoper im Schillertheater

Knöpfe Körbe Kleider
Gießkannen Gartenstühle Teppiche
Schlüsselanhänger Sparschweine Büstenhalter Blumentöpfe
Taschen Tassen Teller Gabeln Schaufeln Kaffeekannen Besen Hüte Eimer…

All das hängt vom Bühnenhimmel herunter, auf dem Basar in dem kleinen türkischen Dorf, wo Ali Baba wohnt. Die Leute sind geschäftstüchtig, lustig, laut und jederzeit zum Feiern aufgelegt. Nur Ali Baba, der ist etwas schüchtern. Er ist arm und redlich. Eigentlich hat er nur seine Frau Rosa, seinen Sohn Vehbi – und einen ziemlich ramponierten grauen Esel mit Irokesenschnitt. Ziemlich aufgedreht kommt der daher und hat das Zeug, zum Star des Abends zu werden. Dass es dazu nicht kommt, liegt wohl an seinem schrillen, eitlen Charme. Der eigentliche Star sind deswegen die 40 Räuber, die ganz schön furchteinflößend daher kommen. Mit riesigen Schnurrbärten, wild angemalt, fuchteln sie mit langen Messern und krummen Säbeln um sich. Ali Baba überlistet sie trotzdem, mit Hilfe seines Esels Karakaçan und der klugen Sklavin Sirin. So kommt er an all das Gold, das die in der Höhle, „Sesam, öffne dich!“, gehortet haben. Auf der Strecke bleibt Ali Babas gieriger Bruder Kasim, der – früh übt sich, was einmal ein versierter Komische Oper-Besucher werden will! – von den Räubern ordentlich gevierteilt wird.Das ist das Schöne an dieser zweisprachigen Produktion in deutsch und türkisch: Weil die Komische Oper mit dem Projekt „Selam Opera!“ seit ein paar Jahren mehr und mehr Leute mit türkischen Wurzeln ins Haus lockt, versammelt sich das multikulturelle Berlin hier auf der Bühne: Im Solistenensemble und im Chor der 40 Räuber, die von den Jungen und Mädchen des Kinderchors gespielt (und gesungen) werden. Und damit aber davor: im Zuschauerraum. Die Komische Oper steht mit diesem Projekt wohl einigermaßen einzigartig dar und schafft auch hier eine Atmosphäre der Lebendigkeit und Offenheit.

Die Inszenierung von Matthias Davids ist oft etwas holperig, vieles ist verkürzt, setzt auf nicht immer subtile Gags und Effekte und ist damit eher frei von tieferer Bedeutung. Doch die Figuren sind schön gezeichnet und liebenswert. Fulminant ist eine wilde Verfolgungsjagd quer durch den Zuschauerraum und die Choreografien (Melissa King) der Kämpfe und Tänze. Ein riesiger orientalischer Teppich beherrscht die Bühne, Susanne Danz hat sich wirkungsvolle Bilder ausgedacht, die mit einfachen Mitteln entstehen. Farbig, bunt und schön anzuschauen auch die Kostüme von Judith Peter.

Eine Enttäuschung ist die Musik des türkisch-kurdischen Komponisten Taner Akyol, der in Berlin lebt: Angekündigt wird die Verbindung „westlicher Musiktraditionen mit den Klängen seiner türkisch-kurdischen Heimat“. Aber es bleibt doch ein Nebeneinander, unverschmolzen. Aus dem Orchestergraben kommen an Zeitgenössischem nur Konventionelles nach Oben, so, wie man sich „Moderne Musik“ halt vorstellt, geräuschhaft, laut, atonal. Die türkische Musik bleibt dagegen komplett in ihrer Klang- und Instrumentenwelt. Das ist zwar ansprechend, beschwingt und anregend, aber eben in keiner Weise innovativ. Das ist schade.
Meiner Wahrnehmung nach spiegelt das übrigens auch nicht die Lebensrealität der Jugendlichen mit türkischen oder arabischen Wurzeln, die längst zwischen den Kulturen und Sprachen souverän wechseln – und zu etwas Eigenem mixen.

Was aber ist die Moral von der Geschichte? Weniger ist mehr. Und: Der Bescheidene gewinnt.
Ist Redlichkeit auch nur eine andere Form der Cleverness? Holt das die Kinder in die Oper? Das Ganze ist eine lustige und schöne Aktualisierung eines Märchenstoffes mit allem, was dazu gehört. Doch die Umsetzung ist konventionell und künstlerisch nicht eben innovativ. Trotzdem, „Ali Baba und die vierzig Räuber“ lohnt sich. Vielleicht agiert die Komische Oper in Zukunft da etwas konsequenter.

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Einen etwas anderen Weg beschreitet die Staatsoper, die derzeit im Schillertheater residiert. Auch sie bietet auf verschiedenen Plattformen Jugendlichen Zugang zur Oper. Mit Kompositionswerkstätten, Workshops zu einzelnen Themen und einer Musiktheaterakademie. Die Opernproduktionen für Kinder und Jugendliche jedoch laufen ausschließlich in der Werkstatt, im intimen Rahmen vor ca. 100 Zuschauern. Zurzeit läuft dort die Oper „Der Gestiefelte Kater“ des russischen Komponisten César Cui aus dem Jahr 1913.

Die Inszenierung von Isabel Ostermann setzt schon da ein, wo der Produktionsprozess beginnt. Mit allen daran Beteiligten. Wenn wir herein kommen üben die Musiker noch, die Requisiteure richten noch das eine oder andere ein, hier wird noch eben fertig gebaut und dort geschminkt. Alles wirkt spielerisch, wie improvisiert, wie nebenbei und rasch verabredet – trotzdem ernsthaft und konzentriert. Weniges an Requisiten wird benötigt: bemalte Pappkartons verkörpern die Erbgüter Mühle, Esel, Kater. Farbige Bälle in allen Größen rollen symbolisch durchs Stück: Reichsapfel, Weltkugel, Wollknäuel, Ariadnefaden. Ein Teppich als Landschaft (Ausstattung Stephan von Wedel). Für Kinder ist diese abstrahierende Darstellungsweise sicherlich nicht leicht zu verstehen. Doch spiegelt sich in dieser Grundverabredung sehr elegant und einleuchtend schon das Thema des Stückes: dass man durch Umdeutung und beredtes Spiel eben alles erreichen kann – und sei es, einen Bettelmann zum stinkreichen Grafen zu machen! Der Kater wirkt hier als die Gegenwartsfigur schlechthin: als Improvisateur (in unserer Aufführung keck und burschikos gespielt von Anna Alàs i Jové), als Einfädler, der seine eigenen Instinkte kongenial einsetzt, um die Menschen an ihren empfindlichsten Stellen zu erreichen und zu manipulieren.

Dass jeder mit ein bisschen Witz und Klugheit seines eigenen Glückes Schmied werden kann, und seien die Ausgangsbedingungen noch so mager – im Kontext der aktuellen Diskussionen um die Ungleichheit in den Ausgangsbedingungen für Jugendliche verschiedener gesellschaftlicher Schichten, speziell in Berlin, klingt das ein wenig blauäugig. Doch hier, auf diesem begrenzten Raum, den wir Zuschauer im Kreis umringen, wirkt das erst einmal plausibel und einleuchtend.
Ob diese Botschaft diejenigen erreicht, die es am nötigsten brauchen könnten, sei dahingestellt. Denn die Meisten, die diese Botschaft gut brauchen könnten, werden kaum ihren Weg an diesen Ort finden, wenn die Oper ihre Türen nicht weit – sehr weit! – aufmacht …

 


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