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Die Kunst hat das Theater verlassen und auf der Straße das Leben getroffen

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Die Akademie der Künste Berlin hat am 3.11. mit einer zarten, langen Nacht am Hanseatenweg das Christoph-Schlingensief-Archiv eröffnet

I

Der Präsident Klaus Staeck quält sich mit Hilfe von Jürgen Flimm auf die Bühne. „Danke, Jürgen, dass du mich hierher gestellt hast“. Nasenbein gebrochen, Knie verrenkt, Ellenbogen aufgeschlagen – Staeck ist gestürzt auf dem Weg zur Akademie. Ohne zynisch zu sein kann man schonmal sagen: das passt. Denn das hat Schlingensief in seinen letzten Theaterstücken oft gerufen: „Zeigt Eure Wunden her!“ Klaus Staeck ist bekannt für seine Selbstironie und für seinen Stolz. Aber dass er heute den Abend mit so einer Geste eröffnet, gibt einen guten Grundton vor: ruhig, unaufgeregt, verständnisvoll, fröhlich auch und dem Gegenstand zugetan: Dem Künstler und Menschen Christoph Schlingensief und seinem Werk, das in seiner Bedeutung erst noch erkannt werden muss, weil es die gängigen Erwartungen an Kunst so grandios durcheinander gewirbelt hat.

II

Klaus Staeck hat es nicht leicht. Akademien, da kann sich der Präsident um Gegenwärtigkeit bemühen, wie er will, sind rückwärts gewandte Institutionen. Sie repräsentieren das, was als Kunst anerkannt ist. Sie versammeln Mitglieder, deren Verdienste zum größten Teil in der Vergangenheit liegen und die das repräsentieren, was State of the Art ist – seltener das Neue, Zukunftsweisende. Während diejenigen, die noch im Zenit ihrer Arbeit stehen, oft nicht die Zeit und die Kraft haben, sich um die Belange der Akademie zu kümmern. Überraschend ist es deshalb nicht, dass Schlingensief kein Mitglied der Akademie der Künste war. Aber es macht traurig, was Staeck, leicht sarkastisch im Ton, andeutet: die Mehrheit der Mitglieder hat ihn nicht gewollt und nicht gewählt.
Wieder so ein Fall, dass einer erst tot sein muss, um die Anerkennung zu erhalten, die er verdient?

III

Dann hat er sein Archiv der Akademie der Künste vermacht. 40 Regalmeter Aufzeichnungen, Filme, Briefe, Plakate, Bücher, Texte, Bilder usw. Das wird gefeiert. Solche Retro-Veranstaltungen bergen die Gefahr des Kitsches, gegen die sich der zu Ehrende nicht mehr wehren kann. Da sind aber die meisten Gäste vor. Aino Laberenz, die Witwe, ist so klar und energisch auf das ausgerichtet, was noch zu tun ist und was die Sache erfordert, dass da keinerlei Sentmentalität aufkommt: Das Operndorf in Burkina Faso mit seiner Schule, der Krankenstation, den Studios zum Filmemachen und dem Ort zum Feiern. Jürgen Flimm drückt sich demonstrativ ein Tränchen aus dem rechten Auge, aber der Sammler Harald Falckenberg spricht witzig und klug über das Problem, den Animatographen, den er zum ersten Mal in Bayreuth im „Parzifal“ auf die Bühne gestellt hat, vor dem Absterben in musealer Unantastbarkeit zu bewahren. Der geniale Ironiker Friedrich Küppersbusch, der leider aus unserem Fernsehen verschwunden ist, berichtet über die aberwitzigen Beiträge, die Schlingensief in den frühen 90ern für sein Nordrhein-Westfalen-Magazin ZAK gemacht hat. Der Avantgarde-Filmemacher Werner Nekes fläzt absolut unvermarktbar im Sofa und berichtet nölig, aber mit väterlich-liebevoller Distanz über die Frühzeit des Künstlers als sein Assistent an der Uni Offenbach und in seinem Studio.

Zum Schluss kommen Patti Smith und Wim Wenders auf die Bühne. Das ist natürlich der Höhepunkt, weil sie direkt aus der weiten Welt zu uns gekommen sind. Wenders liest, traurig-belustigt, die traurig-lustige Geschichte vor, in der Schlingensief berichtet, wie er auf Teufel-Komm-Raus von Wenders auf die Münchner Filmhochschule empfohlen werden wollte – was nicht klappte. Patti Smith improvisiert fröhlich. Englisch sprach Schlingensief nicht gut – aber man habe sich doch gut verstanden. Ein „Happy Warrior“ sei er gewesen, friedlich und liebevoll selbst gegenüber seinen Feinden, voller erotischer Energie. Dann zieht sie ungeniert emphatisch Schlingensief-Jesus-Vergleiche. Und wie durch ein Wunder hat sie plötzlich eine Gitarre in der Hand und singt uns drei Songs vor…

IV

Aus all dem schließe ich, der Christoph Schlingensief nur flüchtig kennengelernt hat: Er hat die Menschen wirklich berührt. Er hat sie in dem angesprochen, was das Beste in ihnen ist. Er konnte sie begeistern und zu Dingen bewegen, die richtig und wichtig sind. Er war offen, tolerant und ohne Vorurteile. Er hat das Künstlerische ernst genommen, wie er das Leben ernst genommen hat. Er hat die Grenzen des Künstlerischen erweitert und sich ohne Rückhalt investiert. Er hat ES ernst gemeint.

Schlingensiefs Auftritte, Filme und Theaterarbeiten waren verstörend, irritierend, gemein. Sie waren überwältigend, grenzverletzend und ungemein kraftvoll. Oft fand man keine Kategorien, um das, was man da gesehen hatte, zu sortieren. Die einen fanden das alles cool in seinem ironischen Grundgestus. Andere haben immer wieder versucht zu verstehen. Die meisten haben die Schotten dicht gemacht.
Was ist denn eigentlich ‚richtiger‘? Welche Haltung ist gegenüber Kunst überhaupt angemessen? Immer alles verstehen, toll und super finden? Oder sich verstören und überfordern zu lassen? Ratlos sein?

Provokation ist ein anderer Begriff, der im Zusammenhang mit seinem Werk immer wieder auftaucht. Das stimmt insofern, als es ihm darum ging, unsere Unempfindlichkeiten zu attakieren, mit denen wir uns gegen die Zumutungen unserer Gesellschaft und das Chaos der Welt zu panzern versuchen. Armselig aber, wer bei dem Begriff stehen bleibt, denn es ging um das Spüren von Widersprüchen. Gegen das glatte Bild, wie wir sein wollen, zugunsten einer Widersprüchlichkeit, Vielfalt, Uneindeutigkeit. Schlingensiefs Arbeiten machen uns mit dem Verdrängten bekannt. Das ist mehr als Provokation, es ist die verzweifelte Tat, die verlogene Wohlanständigkeit, die so viel übertüncht, vergessen macht, die überhöht und verdrängt, zu konterkarieren – mit dem Ziel, die Dinge zum Vorschein und Lebensenergien wieder in den Fluss zu bringen. „Er rüttelte immer alles“ wie ein Freund sagte.

V

Schlingensiefs eigene Biografie war dabei immer wieder Steinbruch. Als im Januar 2008 bei Christoph Schlingensief Lungenkrebs festgestellt wird, bricht der Ausnahmenzustand über ihm herein. Die Krankheit stellt infrage, was Voraussetzung für Denken und Arbeiten ist: den Körper. In dem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ hat er die Erfahrung verarbeitet, von Krebs zutiefst gefährdet – beleidigt – zu sein. Der Text ist eine Kampfschrift. Die auch für andere Mut machende Tat, im Zustand großer Gefahr und Fremdbestimtheit (durch die Krankheit selbst, aber auch durch den medizinisch-industriellen Komplex und durch die Therapien) die eigene Autonomie wiederzugewinnen. Dieses Buch und eine Website motivieren viele Menschen dazu, sich mit der Krankheit Krebs auseinanderzusetzen. Zu Versuchen, Herr über das eigene Leben, das eigene Schicksal bleiben zu können. Ein ganz handfester, konkreter Impuls.

Posthum erschien das Buch „Ich weiß, ich war’s“. Von Aino Laberenz auf der Basis von Tonbandprotokollen, Aufzeichnungen, Bolgeinträgen, e-mails, Briefen zusammengestellt.  Sie sagt es so: „Er hat sich zur Verfügung gestellt“. Das Private ist das Öffentliche und das Politische. Weil es keine Trennung zwischen Leben und Kunst gibt, ist die Art, wie er denkt, performativ. Schllingensief schleudert permanent Entwürfe in die Welt, die ihn und uns infrage stellen. Die vorläufig sind und immer wieder überarbeitet werden. Die Dinge bleiben im Fluss. Überblendungen und Verknüpfungen sind auch das Prinzip des Buches. Eine Autobiografie ist es demnach also nicht, obwohl Autobiografisches vorkommt. Vielmehr fragt sein Buch nach Erfahrungen der Vergangenheit mit dem Ziel, die Gegenwart zu beschreiben. Sein Thema ist die Frage: Wie entsteht Kunst?

Es ist ein berührendes Buch. Christoph Schlingensief lässt uns Anteil nehmen und holt die Kunst raus aus dem geschützten Raum (der Theater, der Museen, der Kinos und Galerien), in dem wir sie allzu gerne einschließen wollen. An der Grenze zum Tod denkt er die Kunst auf Leben und Tod. Weil er sich in seinem Leiden und Schrecken und in seiner Angst öffentlich gemacht hat, flogen ihm die Sympathien schließlich wieder zu wie einem Heiligen. Das kann es aber doch auch nicht sein, denkt man sich da. Denn es grenzt schon wieder an eine Heiligsprechung, mit der wir die Verantwortung wieder aus der Hand geben.

VI

„Fluxus“, den Namen der Kunstrichtung aus den 60er Jahren hat er ganz wörtlich genommen: Die Dinge und Haltungen flüssig halten statt verdinglichter starrer Wahr-Falsch-Aussagen. Fluxus hieß aber auch: Der Krankheit durch Fließen entgehen. Gelungen ist ihm das nicht. Am 10. August 2010 starb Christoph Schlingensief in einem Berliner Krankenhaus, 49jährig. Merkwürdig ist es, noch heute im Netz seine letzten Blogbeiträge zu lesen, die vom Verschwinden der Bilder handeln und von den zunehmenden Überblendungen, unter denen das Ich verschwindet.

Wer aber vom lebendigen Schlingensief etwas erfahren will; wer  die Widersprüchlichkeit des Kunstmachens heute begreifen will; wer wissen will, wie Angst schöpferisch werden kann; wer Aufklärung über die Propaganda des heilen Lebens und des bruchlosen Fortschrittsglaubens bekommen will; wer emotional berührt werden will von Sätzen, die ganz nah am Leben sind, in einer eigenartigen Mischung aus Humor und Traurigkeit; wer mitgerissen werden will von einem Menschen, der, unsentimental und ganz praktisch, geholfen hat; wer etwas von der Liebe spüren will, die er Anderen entgegen gebracht hat: der darf dieses Buch nicht veräumen.


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