Schon wieder ein Festival für Kinder- und Jugendtheater! Diesmal sollen Sie davon Wind bekommen, bevor es zu Ende ist: Das „Theatertreffen der Jugend“ hat eröffnet. Das sind 8 Inszenierungen von und mit Jugendlichen, ausgewählt von einer unabhängigen Jury. Aufführungen von Schultheatergruppen, Jugendclubs oder Freie Gruppen, deren Aufführungen bis zum 1. Juni im Festspielhaus in der Schaperstraße zu sehen sind.
Man könnte erstmal sagen: Auf diesem Festival ist unsere Zukunft zu besichtigen. Man kann die Aufführungen als ein Sensorium, ein Frühwarnsystem betrachten. Denn was man da zu sehen bekommt, sind die Themen, Formen und Sprachen, die in 10 Jahren aktuell sind. Das sind aber auch die Spieler – ihre Sprache, ihre Körperlichkeit, ihre Ausdrucksfähigkeit – die dann unsere Bühnen bevölkern. Man könnte aber auch sagen: Das ist unsere Gegenwart, wie sie gesehen, erlebt und gespiegelt wird von den heute 10 bis 20-Jährigen. Und das ist extrem spannend. Denn in den ganzen Diskussionen und Debatten über Bildungsnotstand, Schule und Zukunft kommen die am wenigsten vor, die das alles angeht. Hier endlich sprechen, tanzen, singen, spielen sie selbst. Theaterspielen heißt ja: Geschichten, Figuren und Rollen ausprobieren. Handlungsweisen auf Probe durchspielen. Verhaltensweisen am lebenden Objekt und wie unterm Vergrößerungsglas experimentell austesten.
Man kann das aber auch einfach genießen: Die Vitalität, Neugier, Empörung, Spiellust, die diese Aufführungen haben – wenn sie gelungen sind. Was natürlich nicht automatisch der Fall ist. Die eine oder andere Aufführung berauscht sich an ihrer Begeisterung darüber, dass man einen Ausdruck für das eigene Lebensgefühl gefunden hat. Dann brechen eher keine harten Fragen und großen Brüche auf.
Das Geniale an diesem Festival sind aber nicht die Aufführungen alleine. Sondern die Gespräche, Diskussionen und Parties. Die ganze Atmosphäre strahlt das Bewusstsein davon aus, dass das hier ein Ort und ein Moment höchster Intensität ist. Wo man Erfahrungen macht, die das ganze Leben verändern werden. Und wenn Sie sich fragen, warum Sie das besuchen sollen? Sie werden mit Themen konfrontiert sein, von denen man nur glaubt, sie lägen weit zurück: Wer bin ich? Was macht mich aus? Wie ist das mit der Liebe? Wie finde ich meinen Platz in einer Gesellschaft, die immer stärker selektiert und unter Leistungsdruck setzt? Wie finde ich meine eigene Sprache? Sie werden harte, rüde Konfrontationen mit der Wirklichkeit erleben. Provokationen über Geschlechterrollen, himmelschreiende Ungerechtigkeiten und Gewalt.
Sie erleben dort auch den Ernst, die sich einstellt, wenn man spürt: Hier geschieht etwas, das mein eigene Leben ganz und gar verändern wird.
Empfehlen möchte ich aktuell drei Aufführungen: Das Theater o.N. hat mit Jugendlichen in Hellersdorf ein Stück über ihre Lebensrealität gemacht. Darin erzählen sie – mit einer bewundernswerten Energie, mit Humor, Mut und Überlebenswillen –, was es heißt, in kaputten Familien, in prekären Umständen und einer feindlichen Erwachsenenwelt zu leben. „hell erzählen“ heißt das und ist zu sehen am Sonntag, den 26. Mai, 20.00 Uhr. Es ist aber auch ein Stück über die langsame und verwunderte Annäherung der Jugendlichen und der Künstlerinnen aus Berlin Mitte. In aller Privatheit ein Stück großes politische Theater.
Das zweite Stück ist „Lochland“ von einer Schultheatergruppe aus Grevenbroich, die sich mit den Auswirkungen des Braunkohletagebaus im Rheinland beschäftigen. Es geht nicht so sehr um die ökologischen Folgen, als um die für die Herzen und Seelen der Menschen, wenn der Boden unter ihren Füßen verschwindet. Es wird gespielt am Montag, den 27. Mai, 20.00 Uhr.
Und schließlich „99 Prozent“ vom jungen ensemble solingen. Ein Stück über Demokratie und Revolution, eine „szenische Empörung“ über Ungerechtigkeit. Das schon in der Weise des Arbeitens Ernst macht mit alternativen Strukturen demokratischer Willensbildung: Die Theatermacher verzichten auf „Regie“. Am Dienstag, den 28. Mai, ebenfalls 20.00 Uhr.
Das Festival kann ein Beleg dafür sein, dass junge Leute keineswegs in ihren Smartphone-Nebeln verirrt und in ihren social networks verstrickt sind, sondern sehr wohl: auf der Suche nach Wegen sind, die uns zu neuen Denk- und Handlungsweisen bringen. Hellwach, engagiert und voller Lebens- und Ausdrucklust.
Na dann, viel Spaß!
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* Die Überschrift ist geklaut! – und zwar von Roland Kobergs Claus Peymann-Biografie von 1999.
Das sei hier der Ordnung halber vermerkt, verbunden mit einer Empfehlung an alle, die Lust haben, sich in Erinnerung zu rufen, warum sie die Inszenierungen von Claus Peymann einmal gut und wichtig fanden.