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Channel: Freie Volksbühne Berlin – Blog » Henrik Adler
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Schluss mit den Weihnachtsmärchen!

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Um’s Verrecken ist das Theater am Kurfürstendamm auf Einnahmen angewiesen. Martin Woelffer, der Chef des Hauses, sagt es eleganter, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass es kaum oder wenig Zuschüsse von der Stadt erhält. Kürzlich bekam es als Nothilfe einmalig eine Drittel Million, aber das vergleichbare Renaissance-Theater wird mit jährlich etwa 2 Millionen Euro gefördert. Ist das gerecht? Nein! Hinzu kommt, dass das Theater Teil des Ku’damm-Karrees ist, das seit Jahren zwischen irgendwelchen Investoren hin- und hergeschachert wird, die das alles abreißen und neu bauen wollen und deren Hauptinteresse möglichst hohe Renditen sind. Spätestens dann, wenn ein neuer Investor etwa das Theater nicht mehr will, wird es zu einem großen Konflikt kommen, der nur dadurch gelöst werden kann, dass sich der Berliner Senat endgültig zu dem Theater bekennt.
Noch hält sich das Theater wacker. Das Kalkül lautet: Günstig, respektive billig, produzieren und mit geläufigen oder gut verdaulichen Stoffen und bekannten Schauspielern auf der Bühne viel Publikum anziehen. Im Großen und Ganzen geht das gut, zumal wenn so famose Künstler mitmachen wie Katharina Thalbach, die den Genresprung zwischen boulevardesk und seriös lustvoll zelebrieren, oder wenn Kultabende dabei sind wie der Kabarettistische Jahresrückblick, die Berlin Comedian Harmonists oder der Theatersport.
Offenbar geht aber manchmal der Blick für’s Detail verloren. Für das jährliche Weihnachtsmärchen – das in einem solchen Konzept natürlich nicht fehlen darf – hat man den altgedienten, angeblich „bedeutendsten Kindermusical-Macher“ Christian Berg eingekauft: „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Ganz ehrlich: Was man da zu sehen bekommt, ist unter aller Kanone. Handwerklich schlecht gemacht, lieblos inszeniert, dürftig ausgestattet, und die Songs von Konstantin Wecker sind allermagerste musikalische Kost.

Es fängt schon damit an, dass die KollegInnen des Theaters offenbar nicht auf dem Schirm haben, dass tatsächlich 800 Kinder, Eltern und Großeltern kommen könnten. Die Schlange ist auch nach dem eigentlichen Stückbeginn nicht kürzer, sodass sich hunderte Kinder mehr als eine halbe Stunde lang im Saal langweilen müssen, ehe es losgeht. Als dann das Licht angeht, ist das Bühnenbild schäbig, sind Ausstattung und Kostüme ganz erkennbar aus verschiedenen Fundus zusammengeklaubt. Am schlimmsten aber ist die Beschallungsanlage. Sie scheppert, klirrt und rauscht, dass es in den Ohren weh tut. Am Licht scheint man am Premierentag noch zu feilen, das geht manchmal unvermittelt aus, eine Szene beginnt im Dunkel, Scheinwerfer werden da noch wackelnd eingerichtet, usw. Ein Musical soll es sein, wo auch gesungen wird und getanzt. Die Choreografien sind bis auf ein, zwei Ausnahmen aber dürftig, und der Gesuts der Schauspieler ist: Seht her, wir sind gaaanz naiv und lustig und glauben echt doll an das, was wir da spielen. Ansonsten begnügt Berg sich damit, die feine, kluge Geschichte von Jim Knopf und dem Lokomotivführer Lukas platt abzubilden. Aber was uns dran interessieren soll, das erfahren wir nicht.
Es ist ein Ärgernis, das verschlimmert wird durch ein Bergsches Geschäftsmodell ganz besonderer Art: Vor Beginn des Stückes und in der Pause werden Leuchtschwerter und rosarote blinkende Plastikherzen allerbilligster Machart verkauft, mit denen die Kinder dann unkoordiniert rumwedeln. Mit dem Stück hat das aber nichts zu tun.

Es ist ja wahr: Theater für Kinder ist die alleranspruchsvollste und schwierigste Disziplin des Theaterspiels überhaupt. Kinder haben keine Konventionsschranke im Kopf. Sie reagieren unmittelbar. Das Spiel läuft hier viel mehr über den Dialog zwischen Bühne und Zuschauerraum. Da kann man echt Respekt haben, aber mit Angst und Routine wird das nichts. Man muss nicht denken, dass man die Kinder mit dem abspeist, was am naheliegendsten ist. Stattdessen: Mut zu einer eigenen Bildsprache, zu Phantasie und einer künstlerischen Poesie!
In Berlin gibt es Theater, die mit hochinteressanten Ansätzen die Welt des Kindertheaters erforschen, und das seit vielen Jahren, und sogar für die allerkleinsten. Seien es Theater o.N., das Theater in der Parkaue oder das Schaubude Puppentheater.


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