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Channel: Freie Volksbühne Berlin – Blog » Henrik Adler
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Untergehen mit Gob Squad

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Ach ja, und dann gab es ja da noch diesen Weltuntergang am 21. Dezember 2012, der dann doch nicht stattfand. Gob Squad haben  im HAU 2 ein im Laufe der Nacht schwindendes Publikum auf eine mühevolle, aber absolut berauschende Reise mitgenommen. „Are You With Us?“ Ein Exerzitium des Zuschauens und der Selbstprüfung von Zuschauern und Performern.Was möchtest Du getan oder erlebt haben, ehe Du diese Welt verlässt? Wie echt war Dein letztes „sorry“? Wovor hast Du Angst? Ist der Tod auch eine Zukunft? Diese und ähnliche Fragen werden im immergleichen Setting einer Therapiesitzung durchgearbeitet, in einer Aneinanderreihung von Szenen, denen wir nur in ihren Leinwandprojektionen beiwohnen dürfen. Die Performer bleiben dahinter. Es ist großartig, wie Gob Squad das Theater verweigert – und es dadurch gerade groß macht. Denn sie arbeiten das Doppeldeutige, das allem Theater innewohnt, grandios heraus. Indem sie es zeigen, das Gezeigte aber verbergen. Indem sie ihre Rollen zwischen Performer und Privatmensch verwischen. Indem sie zeigen, wie in ihrem Gruppenkollektiv das Private stets das Öffentliche durchkreuzt. Das alles stellen sie zur Schau, und an diesem Abend gerät dieser 10stündige Marathon offenbar auch für sie zur Grenzerfahrung. Zum persönlichen Weltuntergang, denn abgerechnet wird immerhin über eine nahezu 17jährige gemeinsame Arbeits- und Lebenserfahrung.

In ihrer typischen glänzenden Professionalität und Abgeklärtheit dekonstruieren sie witzig, selbstironisch und tiefsinnig jede Form von Erlösungs- oder Endzeitdenken. Was dabei immer klarer wird im Lauf des Abends: Weltuntergänge sind etwas für Deppen. Für die Idioten, denen selbst im Angesicht der Katastrophe nichts besseres einfällt als: „Wir haben es verdient“, oder „Das ist die Strafe Gottes“. Für die, die unverrückbar an ihre Auserwähltheit glauben, oder für die Menschen, die, vom Geist der Konkurrenzgesellschaft imprägniert, auch im Tod noch distinguiert sein und die anderen in den Abgrund stoßen wollen.

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Einen der besten Beiträge zum Thema Weltende hat noch immer Jakob van Hoddis 1911 mit seinem Gedicht „Weltende“ geliefert. In den lächerlichen rhythmischen Fügungen und den absurden Gegensätzen klingt unverhohlen eine verzweifelte Ironie – angesichts einer Gesellschaft, die in ihrer kleinbürgerlichen Ängstlichkeit einen Krieg herbeisehnt, von dem sie nicht begreift, dass es ein fürchterlicher Weltenbrand sein wird.

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut / In allen Lüften hallt es wie Geschrei. / Dachdecker stürzen ab und gehn eintzwei / Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut. // Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen / An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. / Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. / Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Van Hoddis, der in Berlin der 10er Jahre für den Beginn des Expressionismus eine bedeutende Dichterpersönlichkeit war, erlitt übrigens ein jämmerliches, bestürzendes Schicksal als psychisch Kranker in den Irrenhäusern der Weimarer Republik. 1942 wurde er – als Jude und psychisch Kranker – im Vernichtungslager Sobibór ermordet.


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