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Channel: Freie Volksbühne Berlin – Blog » Henrik Adler
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Chance ist überall

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In einer wilden Schau sind seit heute Mittag 12 Uhr rund 350 Bilder Berliner Künstler in der „Deutsche Bank KunstHalle“ zu sehen – für 24 Stunden!

„Erlaubt ist alles, was man hängen kann“. Das ist mal ein kuratorisches Prinzip! Die Deutsche Bank hat es ausgerufen. Und so strömten am vergangenen Wochenende viele, viele Berliner Künstler in die Charlottenstraße, um ihre Bilder einzureichen.  Einschränkungen gab es – bis auf Format und Genre (Malerei, Fotografie, Arbeit auf Papier) – nicht.
Einen Tag später war Eröffnung.

 

Der Name ist schon einmal eine nette Provokation: KUNSTHALLE. Denn an dem Versuch, eine Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst zu gründen, laboriert die Berliner Kulturpolitik schon seit langem. Aber irgendwie will es nicht gelingen. Die Temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz 2008 bis 2010, die Ausstellung „Based in Berlin“, so mancher erbitterter Streit zwischen Kunstszene und Politik und Hinterzimmer-Verhandlungen mit dem kunstsinnigen Investor Nicolas Berggruen waren von der Idee inspirirt. Man hat das Projekt inzwischen wohl mehr oder weniger begraben – doch jetzt kommt die Deutsche Bank und reaktiviert den Namen.

Die Ausstellung ist gemacht mit einer Mischung aus Größenwahn, Medien und Chuzpe: Die Halle der jüngst geschlossenen Deutsche Guggenheim, die eine Reihe von erlesenen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst präsentierte, ist total voll gehängt. Über 350 Bilder hängen da in – vielleicht – Petersburger Hängung. Eine grandiose Unübersichtlichkeit erschlägt einen, ehe sich mit der Zeit doch so etwas wie ein Überblick einstellt. Es macht Spaß, sich durch den Wust hindurchzuschlagen! Viel Figuratives, viel Menschendarstellung. Berlin spielt offenbar eine Rolle, Straßenszenen und viel  Architekturdarstellung, der ein oder andere historische Bezug. Aber auch der Gegensatz zwischen Stadt und Land wird zum Thema.
Beeindruckend ist die Vielfalt an Techniken, Formaten und Stilen. Eine durchgängige Linie ist künstlerisch nicht zu erkennen. Die Vielfalt wird zum Stilprinzip. Ablesbar ist die Ausstellungssituation selbst: die Konkurrenzsituation zwingt zum Plakativen und Großen, zum kräftigen Strich. Wer hat da Mut zum Kleinen, Zarten oder zur künstlerischen Reflexion? Wenige. Immerhin sichert so mancher Preziose die gut gemachte Hängung im Eingang etwas Aufmerksamkeit. Interessant ist, wie das Prinzip, ein Bild auswählen zu müssen, doch ein gewisser Garant für Qualität geworden ist. Das meiste ist nicht toll, aber es gibt weniges, was total daneben ist, und das Meiste ist von erstaunlicher technischer Qualität. Doch ebenso wenig gibt es Werke, die verstören, die einen gewaltsam packen und in Erstaunen versetzen. So wird die Ausstellung selbst zu einer Art Abbild der Berliner Szene: vielfältig und durchweg international.

Auch Pro7 ist daÜberhaupt, die Malerei: ist sie als Darstellungsform überhaupt noch der gegenwärtigen Situation angemessen? Taugt sie zu mehr als dem hübschen kulinarischen Reiz, mit dem sich heute jede Arztpraxis, Anwalts- oder Beratungskanzlei schmückt?

Das Prinzip „Das alles gibt es also“ soll es erledigen. Das ist geschickt und hat Witz. Aber ein Beigeschmack bleibt. Den Betreibern ist offensichtlich ein Coup gelungen, denn die mediale und publizistische Aufmerksamkeit ist enorm. Aber fühlen sich die KünstlerInnen nicht missbraucht? Natürlich bekommen sie kein Honorar dafür, dass sie mit ihren Werken den Ruhm einer deutschen Großbank mehren. Die mit dem einen oder anderen aussichtsreichen Werk vielleicht sogar ihre Kunstkammer auffüllt.

Ich frage eine der beteiligten Künstlerinnen: nein, sagt sie, es sei doch schön, wenn sie ihre Bilder zeigen könne. Ihr Werk in diesem Zusammenhang zu zeigen, ist für sie kein Makel.

Dabei ist Susanne Schirdewahn eine der bekannteren Berliner Künstlerinnen. Für die Berliner Zeitung hat sie eine sehr witzige Kolumne erfunden, die“Darf ich Sie zeichnen?“ heißt. Zwischen 2010 und 2012 bat sie Autoren zu Gesprächen über Kunst und Leben. Während dieser Gespräche entstanden Porträtzeichnungen.

Die Künstlerin Susanne Schirdewahn mit Werk

Auch ihre hier ausgestellte Arbeit nimmt darauf Bezug.
Für sie, für die der große Durchbruch vielleicht noch kommt, ist es eine Gelegenheit – und sie nimmt sie gerne an.
Tatsächlich, so richtig grauslich ist es nicht. Aber brav. Kaum etwas wirklich Spektakuläres, Wildes, Verrücktes. Die Einschränkung, nur ein Bild einreichen zu können, bewirkt offenbar so eine Art innerer Selbstzensur.

 

Aber vielleicht ist diese Ausstellung doch ein Indiz für ein Problem der Stadt Berlin, die so stolz ist auf  ihr künstlerisches Potential und so wenig dafür tut – oder tun kann: Wo die Künstler sich selber zähmen, da braucht es in der Tat keine Kuratoren mehr.
Trotzdem: Diese Ausstellung ist eine witzige, anregende Aktion, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten. Auch und weil sie ein eigenartiges Schlaglicht auf das Funktionieren und Nichtfunktionieren der Berliner Kunstszene wirft. Weil der künstlerische Andrang so groß war, gibt es übrigens einen zweite Ausgabe mit den Werken, die heute nicht zum Zuge kamen.

Geöffnet bis Dienstag, 9. April, 12 Uhr. 24 Stunden lang.

 

Werk Nr. 345 mit mutmaßlich ironischem Bezug (Anke Gießler)


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